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Autobahn
Es ist Nacht, der Motor summt. Im Scheinwerferkegel sieht sie nur einen kleinen Ausschnitt der Straße, schwarzen Asphalt und links die weißen Streifen, die unter dem großen Mercedes verschwinden. Mit jedem vorbeihuschenden Strich trägt er sie weiter fort. Sie ist allein; die Armaturen leuchten gelb und rot. Bis in die Fingerspitzen fühlt sie das Vibrieren des Motors und die Unebenheiten im Straßenbelag.
Das Lenkrad ist nicht gepolstert und wenn sie darüber streicht, fühlt es sich an, als ob sie beim täglichen Waschen über Mutters Rückgrat streicht. Mutter, alt und grau liegt sie in ihrem Bett. Der Mund ist geöffnet, die faltige Haut um ihren fast zahnlosen Mund bewegt sich.
Immer und immer und immer ruft die Kranke nach ihr.
Für einen kurzen Moment legt sie die Hände über die Ohren. Sie will das nicht hören, sie will nicht an sie denken.
Auf der Fensterscheibe sieht sie kleine Tropfen. Der Scheibenwischer schiebt die Tropfen fort. Sein langsamer Takt beruhigt sie. Die Streifen der Fahrbahnbegrenzung sieht sie nur noch, wenn die schwarzen Gummiblätter die Scheibe gerade frei gewischt haben. Weiße flitzende Streifen, die im Lichtkegel der Scheinwerfer aufleuchten. Der nasse Asphalt glitzert, das Licht der entgegenkommenden Fahrzeuge bricht sich in den Tropfen auf der Scheibe.
Der Regen wird stärker, tausend Lichtpunkte blitzen auf und verlöschen. Mehr und mehr füllen die dicht fallenden Tropfen ihr Blickfeld mit weißen Schleiern.
Das Leintuch, mehrmals täglich muss sie es wechseln, weil die widerspenstige Alte sich immer wieder die Windel abreißt.
Sie sieht kaum noch die Straße, sieht nur den knochigen alten Körper, den sie Tag für Tag gewaschen und gecremt hat. Im Ohr die quengelige Greisenstimme, sieht sie die schlaffen Lippen sich bewegen.
„Pass doch auf!“, hört sie sie zischen und „hol´ dich der Teufel, dumme Nuss!“
Sie ist an der Ausfahrt vorbeigefahren. Sie fährt langsamer, der Regen prasselt auf die Scheiben und der Scheibenwischer zuckt hektisch hin und her.
„Warum eigentlich?“
Sie tritt wieder auf das Gaspedal, der Wagen schießt nach vorn. Sie schiebet die Erinnerungen beiseite und den Gedanken, dass ihre Mutter zu hause allein in ihrem Bett liegt. Sie weiß, dass sie nach ihr ruft, nach den Einkäufen verlangt, die hinter ihr auf dem Rücksitz liegen.
Die brummende, vibrierende Maschine gibt ihr Kraft. Endlich kann sie sich selbst wieder spüren. Jetzt fühlt sie sich lebendig und frei. Endlich frei. Sie atmet erleichtert aus. Der Wagen rast durch den Regen, Wasserfontänen spritzen an den Seiten empor. Ihr kommt es vor als würde sie fliegen.
Aus dem Vorhang aus Regen und Gischt tauchen vor ihr zwei rot leuchtende Rücklichter auf.
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Porträt der Autorin:
Anna Fietz, geb. 1953 in Stuttgart, aufgewachsen in Stuttgart und Hamburg, Jurastudium Berlin und Hamburg. Sie lebte mit ihrem Mann und den zwei Söhnen bei Flensburg auf einem Resthof.
Nachdem die Kinder groß waren, machte sie erneut eine Ausbildung und arbeitete als Ergotherapeutin in Bonn, Hamburg und Flensburg.
Aktuell arbeitet sie an einem Roman und nimmt mit ihren Kurzgeschichten an den Lesungen zweier Autorenkreise teil.
Erschienen ist bisher: Zwischenwelten - Märchen, Myhten, Mystery