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Der Schwimmer - die Geschichte einer dramatischen Flucht aus der DDR

Axel Mitbauer und ich sitzen auf einer Bank am Ostseestrand von Boltenhagen, schauen auf den schmalen Teil, der von einem müden Bachlauf durchbrochen wird. Heute ist der Start der Dreharbeiten eines Dokumentrfilms zu einem sehr traurigen Kapitel der Deutsch-Deutschen Geschichte. Zu der Flucht aus der DDR. Über die Ostsee. Der Akteur dieser Flucht, über den die Dokumentation berichten wird, ist Axel Mitbauer, ein ehemaliger Leistungssport-Schwimmer der DDR. Gerade einmal 19 Jahre alt hat er sich zu dieser spektakulären Flucht über die Ostsee entschieden. Der Leipziger schwamm seit dem 12. Lebensjahr im Nationalkader der DDR und konnte in dieser aktiven Zeit 12 Mal als Sieger in diversen Schwimmdistanzen nach Hause fahren.  Der Sieg über die 400m Freistil brachte ihm nicht nur den Titel des DDR-Meisters sondern auch die Qualifikation zu den olympischen Sommerspielen in Mexiko (1968) ein. Neben den eingangs erwähnten Siegen auf den Spartakiaden erschwamm Axel Mitbauer auch viele Titel auf diversen Kinder- und Jugendmeisterschaften ein und konnte einige Jugendrekorde für sich verbuchen.  
1968, bei den ungarischen Meisterschaften in Budapest, fragte er den westdeutschen Trainer Werner Ufer und den Schwimmkollegen Wolfgang Kremer, wie man in die Bundesrepublik gelangen könne. Wolfgang Kremer hatte in diesem Zusammenhang einen Brief an Axel Mitbauer geschrieben, den er während einer Kontrolle durch die Stasi mit sich führte. Werner Ufer musste daraufhin neun Monate wegen Mithilfe zur Republikflucht einsitzen und Axel Mitbauer wurde kurz darauf ebenfalls von der Stasi verhaftet. Er erhielt sieben Wochen Einzelhaft, die er in Berlin Normannenstraße, dem Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), absitzen musste. Hinzu kam für Axel Mitbauer ein lebenslanges Start- und Sportstättenverbot.
Es wurde ihm zwar gestattet ein Studium aufzunehmen, jedoch erhielt er über einen sehr gut informierten Freund den Hinweis, dass man ihn durch die 1. Zwischenprüfung fallen lassen würde, was eine Exmatrikulation zur Folge gehabt hätte. Axel Mitbauer nahm deshalb von einem Studium Abstand, wurde jedoch weiterhin von der Stasi unter besondere Beobachtung gestellt, wenngleich es auch schwerfiel Freiwillige auf ihn anzusetzen, wie er nach der Wende erfuhr.
Die Stasi-Unterlagen, so sagt mir Axel Mitbauer, hat er in Kopie erhalten, jedoch nie gelesen, weil er eine schöne Jugend hatte und er nicht aus den Unterlagen etwas erkennen will, dass auf diese Zeit, an die er sehr gern zurückdenkt, einen dunklen Schatten wirft.
Axel Mitbauer sah seine Zukunft in der DDR als aussichtslos und entschloss sich im August 1969 zur Flucht in die Bundesrepublik. Schwimmen war das was er konnte, dafür wurde er ausgebildet. Astronomie gehörte in der Schule zum Lehrstoff und so machte er sich auf den Weg an die Ostsee. Auf Umwegen und durch einen Sprung aus dem fahrenden Zug von Leipzig nach Schwerin konnte er seine Stasi-Betreuer abschütteln und nach Boltenhagen kommen. Vorsichtiges sondieren der Umgebung, sich am Strand wie ein Urlauber bewegen, um dann bei Einbruch der Dunkelheit nur mit Badehose und Schwimmflossen, eingecremt mit Vaseline, in die Ostsee zu gehen – das war das Ziel. Am 17.08.1969, gegen 21:00h war es dann so weit. Die Scheinwerfer am Strand, die auch auf die Ostsee leuchteten, waren die erste große Hürde, die Axel Mitbauer nehmen musste. Die zweite Gefahr patrouillierte in Gestalt der Doppelposten der Grenzbrigade Küste am Strand. Bei 18° Wassertemperatur wartete er auf den Moment, wo der Einstiegspunkt im dunkeln lag, die Scheinwerfer sich von seinem Aufenthaltsort am meisten entfernt hatten. Er nutzte diesen Moment um ins seichte Wasser einzutauchen, vorwärts zu schwimmen. Ruhig, eher gleiten, unauffällig. Die Schweinwerfer kamen näher, noch einen Moment, dann untertauchen, weitergleiten, während die See über ihm heller wurde: für einen Augenblick, eine gefühlte Ewigkeit, dann zog der Lichtkegel weiter, die Gefahr war vorbei – für diesen Moment. Auftauchen, schwimmen, schwimmen. Langsam konnte er im Schutz der Wellenkämme, wo die Gischt und Wellenberge ihn verdeckten, sich vor den Schweinwerfern in Sicherheit wiegen. Anders mit den Patrouillenbooten, die vor der Küste kreuzten. Diese wurden ihm jedoch nicht zur Gefahr, waren nicht in Sicht. Plötzlich fing es in ihm an zu rumoren, die Tiefe der Ostsee musste mental wahrgenommen und verarbeitet werden. 10 m bis 15 m Wasser unter ihm, der Sternenhimmel über ihm. Immer am großen Wagen orientieren, stets Richtung Deichsel schwimmen, hinein in die Lübecker Bucht dem Ziel entgegen. Nach ungefähr vier Stunden und über 20 KM, mit der Orientierung nur durch die Sterne und später durch die Küstenlinie bei Neustadt, erreichte er die Leuchtboje 2a. Hier zog er sich aus dem Wasser, erschöpft und glücklich eine westliche Boje erreicht zu haben. Es dauerte immer noch einige Stunden, bis er um 07:14h von einem Passagier eines vorbeifahrenden Fährschiffs entdeckt wurde. Der Passagier meldete den Vorfall sofort dem Kapitän, der das Fährschiff stoppen und zurückfahren ließ, um den Schwimmer aufzunehmen.
Axel Mitbauer wurde in der Bundesrepublik an Land und zum Auffanglager nach Gießen gebracht. Seine Großtante hatte ihm zur Seite gestanden, ihm im Hintergrund dazu verholfen, dass er Boden unter die Füße bekam.
Seine Leistungen im Schwimmkader der DDR kamen ihm 1970 bei der Europameisterschaft im Schwimmen zugute und führten dazu, dass er in der 4 x 200m Freistil Staffel Gold für die Bundesrepublik holen konnte.

Wir sitzen immer noch auf der Bank am Ostseestrand, sprechen über eine Zeit, die wir beide erlebt haben, wenngleich mit völlig unterschiedlichen Erfahrungen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Nichts Gemeinsames – oder doch – dass damals geteilte Deutschland. Jeder mit einer anderen Wahrnehmung als junger Erwachsener, mit einer anderen Jugend im jeweiligen Teil Deutschlands. Die See ist ein wenig aufgewühlt, heute bei 20°, wieder Wellenkämme – und hundert Meter entfernt ist STILKRAFT Film dabei, die Geschichte von Axel Mitbauer in den Kasten zu bekommen. Der Produzent, Regisseur und Inhaber der Wiener Filmproduktion, Antonio La Regina, hat alle Hände voll zu tun. Szene um Szene wird gedreht, mal wiederholt, mal beim ersten Mal sauber auf die Festplatte gebannt. Anweisungen: …. Achtung filmisches Sperrgebiet bis 18:30h, .... bitte setzen Sie sich, damit Sie nicht ins Bild kommen. …. Danke. Am Strand die Komparsen, teils mit eigener Kleidung aus der Zeit der DDR, stilechte Strandkörbe, ungestörtes Strandleben. Auf einmal zwei Mitglieder der NVA im Bild, mit einer alten MZ und Maschinenpistole. Alles gelöst, die Stimmung der sechziger Jahre ist nicht präsent, muss für die Aufnahmen erst aufgebaut werden. Einige der Komparsen haben die Zeit erlebt, fühlen sich zurückversetzt, für einen Moment mit der Vergangenheit wieder verbunden, andere kennen sie aus den Erzählungen der Älteren. Antonio La Regina hat alle Hände voll zu tun, hatte damals Axel Mitbauer ausfindig gemacht und ihn zu dieser Dokumentation überreden können. Sein Film, der auch über Streamingdienste in den Umlauf kommen wird, ist ein ehrgeiziges Projekt. Ein Herzenswunsch - Antonio wird es schaffen, ganz sicher.
Und zwei ältere Herren sitzen auf der Bank am Ostseestrand und schauen der filmischen Hektik zu.    

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