
Visit Boltenhagen
Strandläufer Boltenhagen




Schnacks entlang der Ostseeküste
Ob man seinen Lebensmittelpunkt im Ostseebad Boltenhagen resp. im Klützer Winkel hat oder nur als gern gesehener Gast den Strand für ein paar Wochen genießt - es gibt immer etwas zu beobachten und mitzuteilen.
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Die Rechte an den nachfolgenden Texten liegen im Sinn des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bei den Autorinnen und Autoren
Hering, Rotwein, Stoffserviette - kulinarisches Mecklenburg



»Dass wir Nordlichter uns auch gern ein knackiges Fischbrötchen hinter die Kiemen schieben, ist bekannt. Aber dazu einen Rotwein? Das ist selbst für mich zu viel, Kowalski«, schüttelt sich Anton die Gedanken aus dem Kopf und schielt zu seinem Freund rüber.
»Woher hast du diesen Gourmet-Tipp, Anton?«
»Hatte gestern Abend Langeweile und habe mich durch die Mediathek gezappt, bin bei Soko Wismar hängen geblieben. Mal was aus der Heimat ansehen. Klicke auf die „Schöne Küste“ und lass mich berieseln. Nette Aufnahmen von der Hafenstadt. Ist auch sehr schön dort. Aber kulinarisch? Oha, da haben sie uns Mecklenburger als unkultivierte Esser dargestellt. Ne, Kowalski, das war untere Schublade«, seufzt Anton und rührt in seinem Cappuccino.
Kowalski schmunzelt, will etwas sagen, stoppt und nimmt einen zweiten Anlauf: »Anton, hast du noch nicht bemerkt, wie sich das Essverhalten geändert hat. In den letzten Jahrzehnten? Wer früher - und jetzt pass auf - einen besonderen Abend verbringen wollte, lud damals seine Begleitung ins Restaurant ein. Das war stimmig, ein guter …«
»Naja, kannst du heute doch auch machen, Kowalski«, unterbricht Anton dessen Ausführungen.
»Hör zu, Anton. Ich rede von einem Restaurant, wo auch das Servicepersonal geschult war, wo die Gäste Messer und Gabel zum Essen benutzt und nicht gestikulierend in Augenhöhe ihres Gegenübers damit Löcher in die Luft geschnitzt haben.« schaut Rainer Kowalski seinen Freund mit ernster Miene an.
»Wenn ich in mein Burger Restaurant gehe, bekomme ich gar kein Besteck, da kann nichts passieren«, kontert sein Freund.
»Suche den Fehler, Anton.«
»Hä? Was für'n Fehler?«
»Du hast deinen Burgerladen als Restaurant bezeichnet. Das ist ein Fast Food Bunker, wo vorwiegend Convenience Produkte verwendet werden. So nennt man die vorbereiteten Lebensmittel und Gerichte, die nur noch einen letzten Schliff durch Mikrowelle oder Konvektomat brauchen. Wie die Fertiggerichte aus dem Supermarkt« Kowalski redet sich in Rage.
Dieses Thema erregt ihn schon seit Jahren, weil er das Business von der Pike auf erlernt hat. Restaurants. Das war früher mit Esskultur verbunden. Da wurden die Jacken an die Garderobe gehängt, Getränke nicht direkt aus der Flasche konsumiert. Ein gut geschulter Service, wohltuend und respektvoll empfunden. Aber wenn die Eltern es ihren Kindern nicht anders zeigen, wird das Niveau noch mehr absinken. Es scheint immer weniger von Interesse zu sein, ein stilvolles Essen zu genießen. Es mutiert mehr und mehr zur reinen Nahrungsaufnahme.
»Halloooo, Kowalski, bist du noch da?« Anton nimmt den abwesenden Blick seines Freundes wahr. »Also der Krimi, der war leichte Kost und ordentlich gemacht. Aber am Ende wurden wir Mecklenburger vorgeführt. Lädt der Kommissar die Gerichtsmedizinerin zum Essen in sein Büro ein. Gute Idee als Abschlussgag. Stilvoll mit Tischdecke und Stoffserviette. Dann serviert er einen Rotwein und dazu Fischbrötchen: Lachs oder Hering, stellt er noch zur Auswahl. Das war der Hammer. Rotwein? Zum Fischbrötchen? Hätte er einen gut gekühlten Weißwein serviert, wäre der Gag sehr gut gelungen. Aber Rotwein zum Fischbrötchen. Kowalski, wie schräg ist das denn? Die verhöhnen uns.«
»Cool down, Anton. Das war nicht so schmuck vom Regisseur, aber vielleicht fehlt ihm in diesem Punkt das Gefühl, einen Gag nicht zu überziehen. Der wollte die Mecklenburger bestimmt nicht als kulinarisch ungebildet darstellen. In Bayern gibt es doch auch genug Genießer, wenngleich Döner Söder das anders darstellt.«
Jetzt war es Kowalski, der seinen Freund beruhigen musste. »Pass auf, Anton. Wenn du Zeit hast, lade ich dich gern zum Abendessen ein. Morgen Abend. Ich kenne ein nettes Restaurant. Da wird noch ehrlich gekocht und ein freundlicher, kompetenter Service zu einem fairen Preis geboten. Also bis morgen, 19:00h. Ich hole dich ab.« steht auf und geht, dreht sich kurz um und fügt grinsend hinzu: »der Cappuccino geht auf deine Kappe«.
Burckhard Specht
20251120
Das sagt das ZDF dazu: Herzlichen Dank für ihre heitere Besprechung unserer Soko Wismar "Schöne Küster". Mfg P.E.
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WC-Anlagen - jeder Gang wird teuer bezahlt



„Anton, du wirst es nicht glauben, für über 300 tausend Euro bauen die ein WC aus feinem VA-Stahl und Türen, die Tritten und Vandalismus trotzen sollen“, verrät ihm sein Freund Rainer Kowalski beim morgendlichen Spaziergang auf der Strandpromenade.
„Ne, Kowalski, du träumst.“ erwidert Anton und schaut der Möwe nach, die wie eine Kampfdrohne nach Fischbrötchen Ausschau hält.
„Pass auf, ich war gestern auf einer Sitzung der Gemeindevertretung im Festsaal. Solltest du auch mal hingehen, spannender als unser Fernsehprogramm und mit viel Hintergrund-information zum Ort. So, auf der Versammlung wurde erwähnt, dass nach dem Ende dieser Saison an der Lesehalle, am Strandzugang 3, ein öffentliches WC gebaut werden soll. Und dass dafür im Haushalt 325 tausend Euro bereitstehen.“ kontert sein Freund.
„Na ja, die Toilette muss dorthin. Es kommen jede Menge Gäste nach Boltenhagen. Auch Tagesgäste. Bei denen drückt nach der Anreise die Blase. Aber über 300 große Scheine fürs Klo?“ fragt Anton ungläubig zurück.
Die Möwe hat er aus den Augen verloren, wäre gut zu wissen, ob sie wieder einen Fang gemacht hat. Das blöde Vieh, denkt Anton und wird jäh von Kowalski in die Gegenwart gebeamt.
Anton ist ein Träumer, sonst wäre er jetzt nicht über das Schlagloch gestolpert. Die Dame vor ihm kommt mit ihrem Rollator trotz der kleinen, wackeligen Räder besser auf der Strandpromenade zurecht.
„Na ja, das WC an der Lesehalle ist abgenickt. Aber sie wollen noch eines am öffentlichen Parkplatz beim Netto-Markt in Tarnewitz bauen. Da müssen vermutlich ein paar Scheine mehr draufgelegt werden, obwohl das nicht im Wirtschaftsplan steht. Und die operativen Kosten? Darüber spricht keiner.“ lässt Kowalski nicht nach.
„Pass auf, Anton. Steht doch einer in der Einwohnerfragestunde bei der gestrigen Versammlung auf und sagt, dass er am letzten Sonntag an drei Stellen die Besucher gezählt hatte. Jeweils eine halbe Stunde lang. Hier an der Seebrücke, dahinten am Strandzugang 3 und beim Netto-Markt. Er wollte wissen, wie sich das Aufkommen prozentual zueinander verhält.“
Kowalski schaut den Anton an, sieht seinen fragenden Blick, weil der nicht verstehen kann, womit sich manche Leute am Sonntag die Zeit vertreiben.
„Anton, jetzt hör zu: Von den 707 Passanten, die der gezählt hat, waren 506 an der Seebrücke, 158 am Zugang 3 und – du glaubst es nicht – nur 43 in Tarnewitz am Netto-Markt. Gut, das sind keine repräsentativen Werte, aber die Verhältnismäßigkeit wird dadurch klar.“
Anton kickt den kleinen Ast zurück ins Buschwerk, schaut nach unten, bleibt stehen und guckt seinen Freund an. „Rainer, weshalb wird das Geld fürs Netto-Klo nicht hier investiert?“ zeigt dabei nach rechts und links, wo sich nach dem Regenschauer wieder eine kleine Seenlandschaft gebildet hat. „Dann würde man bestimmt auch eine intelligente Lösung dafür finden, Fußgänger und Radfahrer besser auseinanderzuhalten.“ endet Anton seine Ausführungen mit einem leichten Ärger in der Stimme. „Das ist seit dem Bau der Dünenpromenade zwar entspannter geworden, aber im Sommer immer noch sehr wuselig.“
Ich weiß nicht, welchen weiteren Verlauf die Unterhaltung zwischen Anton und Rainer Kowalski genommen hat, aber recht hat Anton. Knapp 700 m vom Netto-Markt gibt es eine öffentliche WC-Anlage am Hafen mit Parkmöglichkeit und eine weitere am Strandzugang 20, der 1.000 m entfernt ist. Sollten deshalb die Gemeindevertreter nicht noch einmal die Notwendigkeit der WC-Anlage prüfen und überlegen, ob das Geld besser für die Strandpromenade verwendet werden kann?
Boltenhagen steuert langsam auf eine Verschuldung zu, daher sollten die geplanten Investitionen nochmals auf den Prüfstand gebracht werden. Ich habe mir die Zahlen der Besucherströme besorgt, die hier nachzulesen sind.
Burckhard Specht
20250723
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Der Bauhof im Ostseebad Boltenhagen



Anton geht am Strand entlang, will die herrliche klare Luft genießen, jetzt, wo der Nebel verschwunden ist, und seine Schuhe treten immer wieder auf diesen alten Seetang, der dort rumliegt. Das macht keinen Spaß. Warum räumt den niemand weg. Jetzt im Winter haben die Leute vom Bauhof Zeit, meint Anton. Dass das nichts mit Zeit, Wollen oder Können zu tun hat, das kann er auch nicht wissen. Das hängt mit der StALU zusammen, den Jungs vom Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt in Schwerin. Die haben vor einigen Jahren beschlossen, dass der Seetang zwischen dem 01.10. und 31.03. nicht vom Strand entfernt werden darf. „Ach so“, wirft Anton ein, „deshalb sieht der Strand jetzt so unaufgeräumt aus.“
Klar, Anton ärgert sich darüber, weil er im Sommer schon vor dem Brötchenholen am Strand läuft, der dann wie eine frisch polierte Glatze ausschaut, keine Löcher, keine Unebenheiten. Jetzt im Winter bleibt der Seetang an den Schuhen hängen. Dafür bezahlen die Gäste Kurtaxe. Du musst wissen, dass der Anton die sowieso nicht abdrückt, der wohnt nämlich hier.
„Das heißt nicht Kurtaxe. Kurbeitrag ist die richtige Bezeichnung“, hat letztens noch der Kurdirektor einem Gast erklärt, als der fragte, wofür die zu bezahlen ist. Du musst wissen, dass diese Abgabe letztlich dafür verwendet wird, dass sich die Urlauber im Ostseebad wohlfühlen.
Daran hat der Bauhof einen sehr großen Anteil. Das ganze Jahr hindurch. Im Sommer mehr als im Winter, obwohl dann noch der Streudienst hinzukommt, Bäume schneiden, Urlaub machen, weil das in der Hochsaison nicht so richtig klappt. Mehr Zeit ist in der kalten Jahreszeit auch nicht, die Arbeiten werden nur anders gewichtet.
Und im Sommer? Du musst mal schauen, was da so läuft. Während sich die Gäste noch im Bett umdrehen, werden die ersten Papierkörbe geleert, die Spielplätze gecheckt, der über vier Kilometer lange Sandstrand vom Seegras befreit. Und wenn der Wind über die See fegt, kommt oft Strandgut an, das entfernt werden muss. Auch am Wochenende. Dann noch bei der Vorbereitung der Veranstaltungen viele technischen Arbeiten erledigen. Und weißt du was? Nach den Veranstaltungen hängt so manches Utensil in den Büschen oder liegt am Strand herum. Das glaubst du nicht, was manche liegenlassen. Auch das muss weg, alles schick für den neuen Tag machen. Wieder sind die Bauhofler gefragt.
Und fast alle sind gut drauf. „Irgendwer muss es ja machen. Und ich arbeite gern hier“, hat kürzlich die weibliche Dienstleisterin vom Bauhof zum Anton gesagt. Das ist eine gute Einstellung. Wenn alle mehr Ordnung halten würden, würde der Job noch mehr Freude bringen. Ist nicht immer so wie im Winter, dass manches wie von Geisterhand verschwindet. Da kannst du aber gucken. StALU hin oder her, das Meer holt sich den Seetang oft selbst zurück. Dann kannst du die gierigen Wellen kommen sehen. Danach hat auch Anton nichts mehr zu nörgeln. Nix mehr mit Seetang an den Schuhen, Anton.
Burckhard Specht
20250219
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Hierzu auch "Die anderen Jahreszeiten" und "Was war und was wird kommen" lesen.
Zweckverband Grevesmühlen - der mit dem Wasser



„Der Sommer und der Jahreswechsel, das sind echte Herausforderungen. Wenn noch ein spannender Krimi läuft, dann holla die Waldfee“, sagt die Verbandsvorsitzende Sandra Boldt. Na ja, die Waldfee hat sie vielleicht nicht erwähnt, aber Anton war sehr überrascht, was Sommer, Silvester und ein Krimi mit dem Wasserwerk zu tun haben. Du musst wissen, der Anton ist nicht immer der Schnellste im Kopf. Hat vergessen, dass in Boltenhagen zweieinhalb tausend Menschen leben, aber zehntausend Betten für die Gäste bereitstehen. Und wenn die belegt sind? Und der Krimi um dreiviertel zehn zu Ende ist, rauscht es in den Rohren, dann ist Volllast angesagt – und alles muss funktionieren.
„80 bis 120 Meter“, sagt Frau Boldt, als jemand fragt, wie tief die Brunnen sind, woraus das Wasser gefördert wird. „Und Grundwasser. Im Bereich des Verbandsgebietes liefern wir nur Grundwasser an die Kunden, daher haben wir auch keine Belastung durch Nitrate, Medikamentenrückstände und PFAS. Selbstverständlich halten wir uns strikt an die Trinkwasserverordnung “, ergänzt sie. Dabei fällt dem Anton ein, dass er gelesen hat, es gäbe 30 Brunnen und drei Wasserwerke im Verbandsgebiet. Er kann sich auch nicht vorstellen, dass im Wasserwerk Klütz, welches für Boltenhagen zuständig ist, täglich im Durchschnitt 3.150m³ Trinkwasser aufbereitet werden. So viel wie in 125 große Tanklastwagen passt. Und in Spitzenzeiten können es bis zu 5.000 m³ sein. Unglaublich. Tja, meint der Anton, wir drehen nur den Hahn auf und alles läuft. Welcher Aufwand dahintersteckt, sieht kaum jemand. Wie bei der Milch im Supermarkt. Die machen ganz schöne Profite, sinniert Anton vor sich hin, sind Monopolisten. Tolles Konzept.
Als hätte Frau Boldt seine Gedanken erraten, wendet sie sich an die Gruppe und erklärt, „dass der Zweckverband eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, von 26 Mitgliedern getragen, und eine non-profit Organisation ist.“
Anton ist schon nicht mehr bei der Sache, steht jetzt am Wasserlehrpfad bei den vielen Anschauungsobjekten, die teilweise auch spielerisch das Leben von und mit dem Wasser veranschaulichen. Er geht von einer Einrichtung zur nächsten. Grillen, denkt er, wäre jetzt toll. Ist ja alles vorhanden, auch ein überdachter Platz und ein Haus mit 30 Sitzplätzen. Cool, da muss ich mit meinen Enkeln wiederkommen.
„….damit das nicht erst ins Grundwasser kommt“, hört Anton noch die Wortfetzen von Frau Boldt. Sie sieht ihn, erkennt an seinem Gesichtsausdruck, dass er – mal wieder – nicht alles mitbekommen hat, lächelt (man spürt wie sie Ihre Aufgabe liebt und lebt) und sagt „Dieser Wasserlehrpfad wird von einem ehrenamtlichen Verein gepflegt, weil dafür keine Verbandsgelder verwendet werden dürfen. Er kann jeden Tag besucht werden und Gruppen können sich gern anmelden, um unter anderem den Grillplatz zu reservieren. Der kleine Spendenbrunnen hilft der Fördergemeinschaft bei der Pflege der Anlage. Wichtig ist, dass der Lehrpfad vermitteln soll, wie wichtig das Grundwasser ist und wie wir mit der Umwelt umgehen sollen, damit nichts in das Grundwasser kommt, was dort nicht hineingehört.
Das war superinteressant für Anton, obwohl er schon einiges vorher auf der Webseite des Zweckverbandes gelesen hat, die unglaublich informativ aufgebaut ist. Aber jetzt liebäugelt er schon wieder mit dem Gríll. Unverbesserlich.
Adresse:
Wasserwerk und Wasser-Lehrpfad Wotenitz, 23936 Grevesmühlen, Dorfstraße 16
Burckhard Specht
20250519
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Die anderen Jahreszeiten



Die Wiesen erscheinen im satten Grün, die Rapsfelder drücken schüchtern die jungen gelben Pflänzchen ans Licht, lassen die großen Flächen mit zarten Tupfern über dem Winterkleid zu neuem Leben erwachen. Schwalben auf der Suche nach dem Nest vom letzten Jahr, bereit zu Frühjahrsputz und Ausbesserung, was die Winterstürme gefressen haben.
Die See scheint das nicht zu stören, sie hat ihren eigenen Rhythmus. Den Tang am Strand, weit über den alten Spülsaum hinaus abgelagert, der im Winter bei den Stürmen immer häppchenweise zurückgeholt wird, weil er nicht entsorgt werden darf. Nicht im Winter, Bestimmung der Landesregierung. Selbst Weihnachten und Silvester nicht, wenn die Gäste sich im Ostseebad, in Boltenhagen, aufhalten. Egal, ob Knaller und Raketenreste sich darin ablegen und dann ins Meer gezogen werden.
Bestimmungen eben. Von Landratten, von Menschen in den Zimmern mit Pflanzen auf der Fensterbank und einem geregelten Tagesauflauf von 9 bis 17 Uhr, Verwalter aus dem Binnenland.
Die einheimischen Nummernschilder mit NWM, GVM oder WIS im satten Schwarz auf weißen Grund gedruckt, maximal drei Zahlen nach den Buchstaben, weil der Raum sonst zu eng ist, vermischen sich mit Kennzeichen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie werden überlagert, gehören langsam der Minderheit an, die überrollt wird von den Sehnsuchtsvollen.
„In Boltenhagen kann man nur im Winter mit dem Auto fahren, sonst gibt es keinen Platz“, hatte die Sachbearbeiterin bei der Straßenverkehrsbehörde gesagt, als er sein Auto ummeldete. Weg von den zwei Buchstaben aus dem Schleswig-Holsteiner Randort Hamburgs.
Da sind die Vorboten der anderen Jahreszeit, die frisch gewaschenen Wagen, vollgepackt mit Urlaubsdingen, die man braucht, wenn man an die Küste fährt – Strandmuschel, Luftmatratze, aufblasbare Gummitiere in der Hochsaison. Für den Transport zum Strand stehen die Bollerwagen in der Fewo.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dann ist es eben so.
An der Theke in der Bäckerei bilden sich jetzt Schlangen, die jeden Tag größer werden, länger bis zur Tür hinaus. Die Bekleidung nimmt ab, sobald die Temperaturen zunehmen. Topps statt Wetterjacke, Hotpants statt Thermohose, farbige Muskelshirts auf weißer Haut. Die muss noch braun werden in den nächsten Tagen oder Wochen. Unter den Armen mehr Haare als auf dem Kopf, frischer Schweiß verbindet sich mit gestrigem.
Manche haben kunstvolle Tattoos auf dem Körper, das wird sehr schmerzhaft, wenn aus Susi Nicole wird. Ein paar Sitzungen, danach ist die Ex weggelasert und am Portomanie wurde auch ganz schön geknabbert. Aber du dritt in den Urlaub fahren? Wohl eher nicht.
„Drei Backstubenbrötchen“ ordert er bei der Verkäuferin. Er ist jetzt dran. „Backstubenbrötchen“, das ist ein Insider, keiner, der sich schwertut, die Wahl zwischen Weltmeister-, Mohn- und Körnerbrötchen zu treffen, Dinkelecken oder Laugenstangen. Einer mit klarer Ansage, einer von hier, ein Mecklenburger.
Der See ist es egal, wann sich die Körper hineinwerfen. Sie ist da, jederzeit bereit sie aufzufangen, mitzunehmen für ein paar Meter. Wenn sie schlecht gelaunt ist, dann zieht sie die Menschen auch etwas länger mit sich, macht sich einen Spaß daraus, lässt sie in der Strömung paddeln, bis diese aufhört oder sich die Schwimmer seitlich freigeschwommen haben.
Dafür gibt es auch die Bojen, die das Revier abgrenzen. Nur zur Vorsicht. Die haben ihren Zweck. Aber sie ist fast immer gut gelaunt, die See. Lässt es sich gefallen, wenn die Menschen in ihr treiben, stört sich nicht daran, wenn einige hineinpinkeln, hat ja genug Wasser zum Verdünnen.
Die Hiesigen sind immer die Ersten, die sich in die Wellen schmeißen. Morgens, wenn die Gäste noch schlafen, kommen sie an den Strand. Können in Ruhe schwimmen und machen ihn frei für die Bollerwagen, Sonnenzelte und Strandkorbgäste, die gegen halb neun erste Spuren durch den frisch geharkten Sand ziehen. Auf der Suche nach dem Platz für heute. Bis zum Mittag, dann ein Päuschen und wieder zurück an den Strand.
Urlaub, das haben sie sich verdient. Hier ist Mecklenburg, nicht Spanien. Niemand muss mit dem Handtuch seinen Liegestuhl markieren. Ein freier Strand mit reichlich Platz für jeden.
Kürzlich hat jemand seine Sachen dort liegen lassen, ist zur Mittagspause in seine Fewo gegangen und erst nach Stunden zurückgekehrt. Ringsherum hatte man sich Sorgen gemacht, weil man den Eigentümer der Badesachen lange nicht gesehen hatte, hat die Suche ausgelöst, bis der Gast - leise pfeifend, froh gelaunt - an den Strand zurückkam. Das geht nicht. Auf gar keinen Fall. Jeder muss mitdenken, nicht die Sachen liegen lassen – auch wenn das Plätzchen später weg ist.
Hier ist Mecklenburg, nicht Spanien.
FKK an Zugang 12, Hundestrand bei der 1 und der 21, dazwischen Textilstrand ohne Vierbeiner, alles gut geregelt, eine nachvollziehbare Lösung. Die Tüten für die Handschmeichler der Hundebesitzer gibt es an vielen Stellen. Gratis. Schließlich sind Fellnasen demnächst auch Kurtaxzahler.
Wenn der Strand voll ist, sind die Geschäfte leer, dann nutzen die Einheimischen die Möglichkeit, einkaufen zu gehen. Im Winter sind sie immer leer genug für die Einwohner, in den anderen Jahreszeiten muss man sich den Slot suchen, wann man am besten einkaufen kann, der Bäcker noch Brötchen hat. Das lernt man schnell. Das Gleichgewicht wird so auch im Supermarkt wieder hergestellt.
Ebenso wie in den Restaurants. Hier lassen sie den Urlaubern den Vorrang. In den anderen Jahreszeiten meiden die Einheimischen die Restaurants, wollen keine Plätze blockieren, wollen den Gästen zeigen, dass sie willkommen sind und jeden Stuhl für sich nutzen können.
Sie brauchen sich gegenseitig. Die Urlauber und die Boltenhagener, damit sie im Winter alles am Laufen halten können, wenn sich kaum ein Gast hierher wagt. Die Einheimischen brauchen die Touristen, die zwischendurch die Euros an die Küste spülen, damit Boltenhagen auch im Winter offene Geschäfte und eine funktionierende Infrastruktur bieten kann.
So ist das. Frühjahr, Herbst und Winter spielen nur eine Nebenrolle zwischen den beiden Schwergewichten Hochsaison und Jahreswechsel an der See. Und die laufen auch anders ab. Die anderen Jahreszeiten.
Die Hochsaison ist wie die See bei auflaufendem Wasser. Es wird langsam mehr, man kann es sehen, kann sich darauf einstellen, sich einpendeln, in den Rhythmus des Jahres, mitschwimmen, dabei sein.
Die Autos kommen zuerst, rollen kolonnenweise von der Autobahn über das Hinterland ins Ostseebad, stehen mit heißen Motoren vor den Fewos, werden von der Last befreit. Die Wohnung inspizieren, einrichten, ankommen, schnell noch zum Supermarkt, dann an die See.
Spaziergänger an der Steilküste, am Strand fröhliche Kinderstimmen mit Kuchenformen und Schaufeln. Hektische Beredsamkeit zwischen Sandkuchen und Sandburgen, Kanäle bauen vom Ufer in den Sand, wo das Wasser versickert. Restaurants, die früh schließen. Mit dem Pizzakarton unterm Arm zur Wohnung auf Zeit.
Volle Geschäfte und keine Brötchen mehr um neun.
Um Weihnachten ist es anders. Wie bei einer Sturmflut. Erst die trügerische Ruhe, Stille, vereinzelt die Knaller der Unverbesserlichen, dann die Sturmflut. Silvester, Jahreswechsel, Autos im Pulk, Familien wohnen in Mehrgenerationswohnungen. Freunde, Schnaps und laute Stimmung. Wintermarkt mit Sanddornpunsch, der die Finger wärmt. Zum Jahreswechsel Raclette, Thermohose und die Winterstiefel.
Der große Knall. Das Feuerwerk. Die Ruhe danach.
Alles verstummt nach ein paar Tagen wieder, als hätte sich die See nach der Sturmflut zurückgezogen und die Gäste mitgenommen.
Boltenhagener unter sich. Durchatmen, der Sommer kommt bestimmt.
So ist das mit den anderen Jahreszeiten im Ostseebad.
In Boltenhagen.
Burckhard Specht
20240131
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Was war und was wird kommen - Kommunalwahl 2024



Auf der einen Seite der neugewählte Bürgermeister, flankiert von einer Garnison Gummibärchen, rechts von ihm mit heruntergeklappten Visieren, die Altpolitiker in Blickkontakt mit den lauernden Parteimitgliedern der anderen Fraktionen auf der gegenüberliegenden Seite. Dederon-Hemden würden Funken sprühen in dieser angespannten Atmosphäre.
Das war schon während des Wahlkampfs nicht einfach. Zerstochene Reifen am Auto des jugendlich anmutenden Herausforderers waren eines der undemokratischen Mittel, die eingesetzt wurden, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Dabei ist es doch sehr beschaulich. Hier, in einem der ältesten Ostseebäder Deutschlands.
Ist es das wirklich? Auch im politischen Bereich? Wohl nicht immer. Boltenhagen war stets in den Schlagzeilen, wenn es um politische Ereignisse kommunaler Institutionen in Mecklenburg ging. Wenn das mediale Interesse an negativen Schlagzeilen bedient werden sollte. Zudem noch die Abgabe der eigenständigen Verwaltung und Einbindung in den Klützer Winkel. Das war das Husarenstück.
Man kann vieles über das politische Boltenhagen sagen oder auch wegschweigen, aber langweilig ist es nie. Auch nicht an diesem Abend, wo die erste Sitzung mit den neuen Gemeindevertretern ansteht. Wo Verlierer mit abgeklärter Mine auf Ihren angestammten Plätzen sitzen, dort wo die meisten schon früher saßen. Neue Gesichter sind die Ausnahme. Kein Interesse bei den Jüngeren, kein Zugang in die Heiligen Hallen oder einfach weggebissen? Die Gedanken sind frei ….
Und heute, fast fünf Jahre später, auf der letzten Versammlung der Gemeindevertretung, wundert man sich als stimmloser Zuschauer, wie ruhig es geworden ist. Die Visiere hochgeklappt, die Gummibärchen-Divisionen schon seit Jahren verbannt und die Wortmeldungen respektvoll vorgetragen, wird konstruktiv gearbeitet. Zum Wohl der Einwohner von Boltenhagen, Redewisch, Tarnewitz und Wichmannsdorf. So sollte es sein, so scheint es jetzt, so war es nicht am Anfang.
Doch so richtig glücklich wirken die alten Haudegen immer noch nicht. Nur eine Partei bedankte sich für die zurückliegende Zusammenarbeit bei den anderen Fraktionen und dem Bürgermeister.
Was solls. Gute Verlierer sind selten.
Als er sich vor fünf Jahren zur Wahl des Bürgermeisters gestellt hatte, der junge Mann aus dem Osten im Westen, aus Ostwestfalen, haben nur wenige an ihn geglaubt. Die Ernüchterung kam nach der Stichwahl.
Dabei hat er einen sehr simplen, ehrlichen Wahlkampf geführt. Hat nur mit den Menschen im Ort gesprochen, ist auf sie zugegangen und hat Ihnen überzeugend erklärt, was sein Ziel ist.
Das Merkwürdige dabei? Er hat auch später als Bürgermeister das getan, was er im Wahlkampf gemacht hat: Mit den Menschen gesprochen, sich ihre Sorgen angehört und geholfen, dort, wo es möglich war. So simpel, so erfolgreich.
Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Jetzt ist es wieder so weit. Im Land wird gewählt, in Boltenhagen gleich viermal. Eine Herausforderung für alle – für Wähler und zu Wählende. Im Ostseebad wird sich die Gemeindevertretung stärker durchmischen als in den Vorjahren. Das ist gut. Das ist nötig. Einige der langjährigen Vertreter lassen sich nicht wieder aufstellen. Einer davon wird sicherlich ein großes Loch hinterlassen, seine pedantische Art, die offensive Arbeit und die klar formulierten Worte werden fehlen. Auch die, die sich neu in dieser Legislaturperiode eingebracht haben und jetzt wieder rausgehen wollen, haben ihren Beitrag geleistet, haben neue Impulse gegeben und sich eingesetzt. Andere wird man weniger vermissen – die Farblosen und die Querulanten.
Allen Gemeindevertretern, egal welcher Fraktion zugehörig, sollten die Bürger danken für ihr Engagement. Dafür, dass sie sich durch mehrere Tausend Seiten Vorlagen in den letzten fünf Jahren gewühlt, oft das Privatleben der ehrenamtlichen Tätigkeit untergeordnet und vermutlich nur einen warmen Händedruck bekommen haben. Dass sie vielleicht auch angefeindet oder missverstanden wurden – auch das haben sie auf sich genommen. Nur weil es diese engagierten Menschen in unserem Ostseebad gibt, nur deshalb bewegt sich hier auch etwas. Zum Wohl der Bevölkerung und der Urlauber.
Noch glimmt sie, die Lunte, die in 2010 im Ostseebad gezündet wurde, die niemand in der Gemeindevertretung in den Folgejahren löschen konnte oder wollte. Dann der vage Versuch des Handelns. Beschlussfassung im Winter 2019. Der Zeitzünder wurde neu justiert. Jetzt warten wir, ob am 31.12.2024 der Knall dieser Ladung das Feuerwerk der Kurverwaltung in den Schatten stellen oder leise zischend erlöschen wird.
Diesmal sind sehr viele neue Gesichter auf den Plakaten zu entdecken, sechs Parteien oder Gruppierungen stellen sich zur Wahl. Interessant, wenn man den Altersdurchschnitt der einzelnen Fraktionen betrachtet.
Die Erfahrenen stehen denen gegenüber, die ebenso das Beste für Boltenhagen wollen, obwohl diesen das politische Geplänkel noch fremd ist. Das wird spannend. Wobei die Wähler auf kommunaler Ebene mehr Mitspracherecht haben als bei der Wahl zum großen Haus an der Spree. Das Risiko, die Bundespolitik bis auf die kommunale Ebene herunter zu brechen, ist groß - und falsch.
Auch in Berlin sitzen einige Abgeordnete, die der Staat durchfüttert. Denen es an Fachkompetenz fehlt. Die kann man erlernen oder absitzen - letzteres ist auf kommunaler Ebene schwierig.
Wichtig ist, dass wir die Möglichkeit zu wählen auch wahrnehmen, unerheblich, welche Fraktion uns am nächsten steht.
Wir können uns glücklich schätzen, in einem Land zu leben, wo wir das Recht haben, frei zu wählen, nicht fremdbestimmt oder mit der Pistole im Nacken.
Burckhard Specht
20240518
Das Recht an diesem Text liegt im Sinn des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) beim Autor,