Visit Boltenhagen
Was war und was wird kommen - Kommunalwahl 2024
Auf der einen Seite der neugewählte Bürgermeister, flankiert von einer Garnison Gummibärchen, rechts von ihm mit heruntergeklappten Visieren, die Altpolitiker in Blickkontakt mit den lauernden Parteimitgliedern der anderen Fraktionen auf der gegenüberliegenden Seite. Dederon-Hemden würden Funken sprühen in dieser angespannten Atmosphäre.
Das war schon während des Wahlkampfs nicht einfach. Zerstochene Reifen am Auto des jugendlich anmutenden Herausforderers waren eines der undemokratischen Mittel, die eingesetzt wurden, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Dabei ist es doch sehr beschaulich. Hier, in einem der ältesten Ostseebäder Deutschlands.
Ist es das wirklich? Auch im politischen Bereich? Wohl nicht immer. Boltenhagen war stets in den Schlagzeilen, wenn es um politische Ereignisse kommunaler Institutionen in Mecklenburg ging. Wenn das mediale Interesse an negativen Schlagzeilen bedient werden sollte. Zudem noch die Abgabe der eigenständigen Verwaltung und Einbindung in den Klützer Winkel. Das war das Husarenstück.
Man kann vieles über das politische Boltenhagen sagen oder auch wegschweigen, aber langweilig ist es nie. Auch nicht an diesem Abend, wo die erste Sitzung mit den neuen Gemeindevertretern ansteht. Wo Verlierer mit abgeklärter Mine auf Ihren angestammten Plätzen sitzen, dort wo die meisten schon früher saßen. Neue Gesichter sind die Ausnahme. Kein Interesse bei den Jüngeren, kein Zugang in die Heiligen Hallen oder einfach weggebissen? Die Gedanken sind frei ….
Und heute, fast fünf Jahre später, auf der letzten Versammlung der Gemeindevertretung, wundert man sich als stimmloser Zuschauer, wie ruhig es geworden ist. Die Visiere hochgeklappt, die Gummibärchen-Divisionen schon seit Jahren verbannt und die Wortmeldungen respektvoll vorgetragen, wird konstruktiv gearbeitet. Zum Wohl der Einwohner von Boltenhagen, Redewisch, Tarnewitz und Wichmannsdorf. So sollte es sein, so scheint es jetzt, so war es nicht am Anfang.
Doch so richtig glücklich wirken die alten Haudegen immer noch nicht. Nur eine Partei bedankte sich für die zurückliegende Zusammenarbeit bei den anderen Fraktionen und dem Bürgermeister.
Was solls. Gute Verlierer sind selten.
Als er sich vor fünf Jahren zur Wahl des Bürgermeisters gestellt hatte, der junge Mann aus dem Osten im Westen, aus Ostwestfalen, haben nur wenige an ihn geglaubt. Die Ernüchterung kam nach der Stichwahl.
Dabei hat er einen sehr simplen, ehrlichen Wahlkampf geführt. Hat nur mit den Menschen im Ort gesprochen, ist auf sie zugegangen und hat Ihnen überzeugend erklärt, was sein Ziel ist.
Das Merkwürdige dabei? Er hat auch später als Bürgermeister das getan, was er im Wahlkampf gemacht hat: Mit den Menschen gesprochen, sich ihre Sorgen angehört und geholfen, dort, wo es möglich war. So simpel, so erfolgreich.
Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Jetzt ist es wieder so weit. Im Land wird gewählt, in Boltenhagen gleich viermal. Eine Herausforderung für alle – für Wähler und zu Wählende. Im Ostseebad wird sich die Gemeindevertretung stärker durchmischen als in den Vorjahren. Das ist gut. Das ist nötig. Einige der langjährigen Vertreter lassen sich nicht wieder aufstellen. Einer davon wird sicherlich ein großes Loch hinterlassen, seine pedantische Art, die offensive Arbeit und die klar formulierten Worte werden fehlen. Auch die, die sich neu in dieser Legislaturperiode eingebracht haben und jetzt wieder rausgehen wollen, haben ihren Beitrag geleistet, haben neue Impulse gegeben und sich eingesetzt. Andere wird man weniger vermissen – die Farblosen und die Querulanten.
Allen Gemeindevertretern, egal welcher Fraktion zugehörig, sollten die Bürger danken für ihr Engagement. Dafür, dass sie sich durch mehrere Tausend Seiten Vorlagen in den letzten fünf Jahren gewühlt, oft das Privatleben der ehrenamtlichen Tätigkeit untergeordnet und vermutlich nur einen warmen Händedruck bekommen haben. Dass sie vielleicht auch angefeindet oder missverstanden wurden – auch das haben sie auf sich genommen. Nur weil es diese engagierten Menschen in unserem Ostseebad gibt, nur deshalb bewegt sich hier auch etwas. Zum Wohl der Bevölkerung und der Urlauber.
Noch glimmt sie, die Lunte, die in 2010 im Ostseebad gezündet wurde, die niemand in der Gemeindevertretung in den Folgejahren löschen konnte oder wollte. Dann der vage Versuch des Handelns. Beschlussfassung im Winter 2019. Der Zeitzünder wurde neu justiert. Jetzt warten wir, ob am 31.12.2024 der Knall dieser Ladung das Feuerwerk der Kurverwaltung in den Schatten stellen oder leise zischend erlöschen wird.
Diesmal sind sehr viele neue Gesichter auf den Plakaten zu entdecken, sechs Parteien oder Gruppierungen stellen sich zur Wahl. Interessant, wenn man den Altersdurchschnitt der einzelnen Fraktionen betrachtet.
Die Erfahrenen stehen denen gegenüber, die ebenso das Beste für Boltenhagen wollen, obwohl diesen das politische Geplänkel noch fremd ist. Das wird spannend. Wobei die Wähler auf kommunaler Ebene mehr Mitspracherecht haben als bei der Wahl zum großen Haus an der Spree. Das Risiko, die Bundespolitik bis auf die kommunale Ebene herunter zu brechen, ist groß - und falsch.
Auch in Berlin sitzen einige Abgeordnete, die der Staat durchfüttert. Denen es an Fachkompetenz fehlt. Die kann man erlernen oder absitzen - letzteres ist auf kommunaler Ebene schwierig.
Wichtig ist, dass wir die Möglichkeit zu wählen auch wahrnehmen, unerheblich, welche Fraktion uns am nächsten steht.
Wir können uns glücklich schätzen, in einem Land zu leben, wo wir das Recht haben, frei zu wählen, nicht fremdbestimmt oder mit der Pistole im Nacken.
Burckhard Specht, 18.05.2024